Über Hasskommentare und journalistische Kompetenz

Niclas Seydack (55. Lehrredaktion) ist für #journalistenschule 850 Kilometer quer durch Deutschland gefahren, von München nach Bad Schwartau an das Leibniz-Gymnasium. Er schreibt heute für Vice und 11Freunde. Am Tag der Pressefreiheit sprach er über seine Erfahrungen.

Was haben Sie vor Ihrem Besuch erwartet?

Ich dachte, die Schülerinnen und Schüler hätten kein Interesse an der Aktion und ich müsste erst einmal eine Faszination für unsere Arbeit und den Beruf schaffen.

Wie war es wirklich?

Sie waren deutlich interessierter, als ich erwartet habe. Wenn ich daran denke, was mich mit 16 interessiert hat, waren die Jugendlichen heute besser vorgebildet. Sie haben sehr präzise Fragen gestellt. Über Kriegsjournalismus zum Beispiel. Spannend fand ich auch die Frage, ob ich mich in meinem Beruf durch die deutsche Sprache eingeschränkt fühlen würde. Weil ich dadurch ja den Rest der Welt ausschließen würde. 

Gab es denn einen Fake-News-Anhänger?

Es gab einen Skeptiker. Nicht, dass er Lügenpresse rufen würde, aber aus seiner eigenen Erfahrung heraus war er skeptisch. Er ist Gamer und die würden sehr oft falsch dargestellt werden und Experten zitiert, die eigentlich gar keine Experten sind. Ausgerechnet bei einem Thema, das ihm wichtig ist, fühlt er sich von Journalisten nicht ernstgenommen.

Konnten Sie die Vorbehalte beruhigen?

Es gibt leider auch Redakteure, die unsauber arbeiten. Das habe ich ihm erklärt. Aber natürlich wird es bei Themen, die den Schülern wichtig sind sehr schnell peinlich für Journalisten, wenn sie keine Ahnung davon haben.

Wie könnte man die Situation denn verbessern?

Im Fall Gaming braucht es Kompetenz. Das funktioniert im Politikjournalismus ja auch. Dort haben die Schüler das Gefühl, dass Menschen schreiben, die Ahnung von dem Thema haben. Und im Zweifel müssen Journalisten sich Hilfe holen. Junge Redakteure oder die Jugendlichen selbst fragen, zum Beispiel. Journalistische Grundsätze sollten auch bei Themen gelten, die eher weniger Menschen interessieren. Die etablierten Medien verlieren eine Generation, wenn sie deren Themen nicht ernst nehmen. Wenn sie aber gut arbeiten, könnten sie jungen Menschen eine Heimat geben.

Glauben Sie, dass Ihr Besuch langfristig geholfen hat?

Ich habe erzählt, wie ich von Fußballfans unter 11Freunde-Artikeln beleidigt werde und dass ich 2015 ein Praktikum in Dresden gemacht habe. Dort habe ich miterlebt, wie 20.000 Menschen am Verlagsgebäude vorbeiziehen, hasserfüllt und wütend im Chor „Lügenpresse“ brüllen. Wenn Menschen jemanden treffen, der von Hasskommentaren und Lügenpresserufen betroffen ist und verstehen, dass hinter jedem Text ein Mensch sitzt, hilft das ungemein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand von denen noch einen Hasskommentar schreiben wird.